Interviews mit unseren Späteinsteigern
Teil 1:
Michael (70 Jahre, Blaugurt)
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1. Seit wann trainierst Du Karate und wie alt warst Du, als Du mit Karate begonnen hast?

Ernsthaft und als Ergebnis einer klaren Entscheidung mit Karate angefangen habe ich am 1.4.2015 beim MTSV Schwabing, also vor 5 Jahren im Alter von 65 Jahren.

Zwar habe ich bereits im Studium 1975 neben meinem Judo-Training ein Jahr lang Shotokan-Karate geübt, mich dann aber ganz auf Judo konzentriert, wo ich im Laufe der Jahre den ersten Kyu und die Übungsleiter-Lizenz erreicht habe. Nach dem berufsbedingten Ende meiner Judo-Zeit ca. 1984 begann ich mit dem Tai Chi- und Chi Kung Training, da ich hier auch viel alleine üben konnte. Das habe ich bis heute mit wechselnder Intensität beibehalten.

2. Wie bist du auf Karate aufmerksam geworden und was hat dich überzeugt dabei zu bleiben?

Budo und Kampfkünste interessierten mich bereits als Jugendlicher. Das hängt auch mit meiner Affinität zur Japanischen Kultur zusammen. Mit Eintritt in den offiziellen Ruhestand wollte ich wieder ein Budo-Sportart ernsthaft üben und entschied mich für Goju Ryu Karate, wegen der Nähe zu den Ursprüngen des Karate und da hier der Hart-Weich Aspekt wie im Tai Chi eine wichtige Rolle spielt.

3. Wie oft in der Woche trainierst Du?

Üblicherweise zwei- bis dreimal pro Woche im Verein, daneben auch alleine zuhause.

4. Hältst du es für sinnvoll, mit Karate auch im fortgeschrittenen Alter zu beginnen?

Ja, das halte ich für sehr sinnvoll. Je älter ein Mensch wird, desto mehr sollte er seine natürlich nachlassenden Fähigkeiten auf dem Gebiet „Beweglichkeit“ sowie „Erlernen und Speichern komplexer neuer Bewegungsmuster“ üben, erhalten und wenn möglich sogar ausbauen. Daneben kommen im Karate-Training auch Übungen in den Bereichen „Kraft, Kraftausdauer und Kardio“ zum Tragen, was zum Erhalt der Grundfitness beiträgt.

Da das Verletzungsrisiko beim verantwortungsbewusst gestalteten Karate-Training im Vergleich zu anderen Sportarten eher gering ist, kann auch der bei vielen Älteren vorhandenen Angst vor Verletzungen leichter begegnet werden. Immer gelingt das allerdings nicht. Es muss schon ein erkennbares Grundinteresse an Budo und Freude an solchem Training vorhanden sein.

5. Ist es Deiner Meinung nach besser, explizit in Altersgruppen zu trainieren, oder in einer Gruppe auch mit Jüngeren zusammen?

Diese Frage kann nur differenziert beantwortet werden.

Ein älterer Mensch, der sportlich nicht sehr viel Vorerfahrung hat oder lange nichts mehr gemacht hat, ist zumindest zu Beginn in einer Jukuren-Gruppe besser aufgehoben. Hier können die Basics individueller und in angepasstem Tempo unterrichtet werden.

(An dieser Stelle ein Kompliment von mir an Wolfgang. Er hat mir den Einstieg sowohl technisch als auch konditionell durch seine gute Trainingsführung sehr erleichtert.)

Außerdem ist das Klima in der Jukuren Gruppe i.d.R. sehr angenehm, was auch zum Verbleib der Trainierenden beiträgt. Dennoch spielen hier unterschiedliche Wünsche und Ziele eine große Rolle: die Mehrzahl ist aus rein gesundheitlichen Gründen dabei und der Ehrgeiz, sich technisch und in der Graduierung weiter zu entwickeln, ist begrenzt. Nichts desto weniger kann ein ambitioniert Trainierender auch in der Jukuren Gruppe sinnvoll (zusätzlich) mittrainieren, da auch hier die Basics immer weiter verbessert werden können.

Ein älterer Neueinsteiger, der mit gewissen Ambitionen an das Training herangeht, ist m.E. gut beraten, wenn er/sie parallel bei Jukuren und im normalen Erwachsenentraining mitmacht. Es ist aber anfangs schon gewöhnungsbedürftig, wenn man als älterer Neuling mit Weißgurt als letzter in der Reihe von 30 Trainierenden kniet, vor sich viele Jugendliche von Weiß bis Grün, und keine Ahnung, was hier abläuft. Das gibt sich aber rasch. Durch das Trainerteam kann eine solche Barriere gut abgebaut werden, wenn der Neuling wahrnimmt, dass er auch individuell angesprochen wird. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung.

Auf jeden Fall halte ich es für sehr wichtig, auch in gemischten Altersgruppen und mit sehr Erfahrenen zu trainieren um zu sehen, was möglich ist und in welche Richtung sich die individuellen Fertigkeiten entwickeln sollten. Außerdem hält das Trainieren mit Jüngeren auch die Älteren jung.

Das Ganze steht und fällt natürlich mit der individuellen Gesundheit. Wenn gravierende Einschränkungen in den Bewegungen vorhanden sind (Knie kaputt, Kreislauf instabil, Bandscheiben geschädigt, …) ist moderates Training bei Jukuren vielleicht die einzige Möglichkeit, vom Karate-Training zu profitieren. Hierfür hat Jukuren eine absolute Daseinsberechtigung. Es ist zu wünschen, dass dies auch von Interessenten angenommen wird.

6. Worin liegen Deiner Meinung nach die Vorteile vom Karatetraining unter gesundheitlichen Aspekten gegenüber anderen Sportarten?

Wie bereits oben erwähnt: relativ geringes Verletzungsrisiko; Verbesserung von Beweglichkeit und Erlernen komplexer neuer Bewegungsmuster durch moderaten Beginn und abgestufte Steigerung im Training; Aufbau und Erhalt einer notwendigen Grundfitness; dezidierte Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten. Daher für Ältere besonders geeignet.

7. Was sollten Menschen im fortgeschrittenen Alter Deiner Meinung nach beachten, wenn sie mit dem Karatetraining beginnen möchten?

Freude an Bewegung, am körperlichen Kontakt und am Trainieren in einer Gruppe mitbringen; Interesse an Selbstverteidigung; Offenheit für kontinuierliches Einüben und Feilen an Bewegungsabläufen als Basis für Fortschritte; Offenheit, über eventuelle eigene gesundheitliche Einschränkungen zu sprechen, damit diese im Training berücksichtigt werden können.

8. Welche Ziele hast Du im Karate? Was möchtest Du noch erreichen?

Ich habe mir Karate bewusst ausgesucht, um als Älterer ein technisch anspruchsvolles Training zu machen, das richtig aufgebaut bis ins hohe Alter gesundheitsfördernd sein kann. Außerdem ist mir bei Karate der Aspekt des Karate-Do wichtig, d.h. sich auf dem Weg befinden und durch Verbesserung meiner technischen und mentalen Fähigkeiten persönlich Fortschritte zu machen. Daher macht mir auch die sukzessive Bewältigung zunehmend anspruchsvoller Techniken, Katas und Anwendungen mit Partner viel Freude. Graduierungsprüfungen halte ich auf diesem Weg für unabdingbar.

Als mein Ziel sehe ich das Bestehen der Prüfung zum 1. Dan.

29.7.2020

Michael de Campos